Brockhaus: Der König ist tot, es lebe der König!
Ich halte es für ein gewieftes Marketing-Lehrstück. Der Preis wird bestimmt von Angebot und Nachfrage. Die Nachfrage nach Lexika in gedruckter Form geht momentan gegen Null, Wikipedia sei Dank. Klar, auch ich nutze die Wikipedia für die „tägliche Recherche“, ist einfach zu bequem, zu aktuell, zu gut, um es sein zu lassen.
Der Brockhaus hat darauf hin schon vor einem Jahr Monaten die Segel gestrichen und mitgeteilt, dass es keine Print-Ausgabe mehr geben werde, dafür solle die Reihe kostenfrei im Internet zur Verfügung stehen. Ich habe schon vor einem Jahr meine Einschätzung abgegeben, dass der Brockhaus damit tot ist, weil er online einfach nicht bestehen kann, schon gar nicht refinanziert durch Werbeerlöse.
Jetzt hat zum Ende März der Cornelsen-Verlag die wahrscheinlich wertlose Brockhaus-Hülle übernommen. Ich denke mal, einen positiven Cash Flow weist das Unternehmen nicht mehr auf und wenn man den dann noch diskontiert…do the math. Wir halten also fest: Cornelsen dürfte nicht mehr viel für die Marke, das letzte Relikt des Verlages, gezahlt haben.
Ein weiterer, nicht unbedeutender Marktteilnehmer, hat heute ebenfalls aufgegeben: Microsofts Encarta wird nach 16 Jahren eingestellt.
Zusammenfassend: die Online-Konkurrenz schrumpft und bis auf die Enzyklpaedia Britannica und Meyer’s Lexikon gibt es keine gedruckten Lexika mehr. Nun ist es aber so, dass Menschen Lexika -und gerade Lexika- nicht nur aus Bildungsgründen kaufen, sondern auch und vorrangig aufgrund ihrer repräsentativen Funktion im Bücherregal. Ich kenne Menschen, die sind beruflich weit gekommen – und lesen morgens im Büro die BILD (ja, das sind teilweise die Leute, die uns den ganzen Mist eingebrockt haben oder zumindest nicht ganz unbeteiligt daran sind). Traurig aber wahr. Nur zuhause, da steht die 22. Ausgabe Brockhaus, Goldschnitt, und darauf angesprochen murmeln sie etwas wie „naja, uhm, nun, man braucht ja mal was zum Nachschlagen, so für zwischendurch, etwas, auf das Verlass ist, Sie wissen schon…“.
Dasselbe gilt für die gebundene Ausgabe von Nietzsches Biographie, die Jubiläums-Edition von „Krieg und Frieden“ in Leder und die Nikomachische Ethik in der altgriechisch-deutschen Kombiversion. Alles nie gelesen, aber macht sich irre gut im Wohnzimmer, für die Gäste.
Wenn ich Cornelsen wäre (und ich glaube, da hat jemand Cleveres ganz bewusst die Strippen gezogen), würde ich mich einfach 15-20 Jahre zurücklehnen und in aller Ruhe die 23. Auflage des Brockhaus vorbereiten. Das wird der Zeitpunkt sein, wo es wenigstens einen der Beiden Erzrivalen -Meyers und EB- nicht mehr geben wird, aber eine rege Nachfrage nach einer einigermaßen aktuellen, gedruckten Version „des Brockhaus“ für das Wohnzimmer. Mit Goldschnitt. Für diese Kundengruppe ist es die 5.000, 6.000 EUR locker wert. Als Produktmanager würde ich auch noch eine limitierte Sonderedition in Büttenpapier und Ledereinband bereithalten, zum Preis eines Golf VIII oder etwas darüber. Luxus geht immer.
Mit den ersten 1.000 verkauften Einheiten der Normalversion haben sie dann den Kaufpreis sowie die Kapitalbindungskosten für 15 Jahre locker wieder drin. Das ist mal lässiges Beteiligungsmanagement.